Sulzbach, Gemeinde Maria Neustift, 04:35 Uhr. Es ist ein Samstag Anfang Juni und auffällig viel Verkehr für diese Tageszeit im kleinen Ramingtaler Örtchen. Der Tag verspricht mit frühmorgendlichen Temperaturen von 16 Grad und wolkenlosem, noch rosarotem Himmel heiß zu werden. Gasthaus Derfler, 04:40 Uhr: Aufbruchsstimmung. Eine ganze Menge verrückter Wanderer schultert die Rucksäcke, packt die Stöcke und sucht sich Platz in einem der beiden Busse, die bereits für die Abfahrt zum Derfler X-treme 2015 bereitstehen. Warum verrückt? Wer bei prognostizierten 32 Grad um 03:30 Uhr aufsteht, um 56 Kilometer und 2500 Höhenmeter – oder zumindest die halbe Distanz – zu wandern, muss schon, Entschuldigung, etwas durchgeknallt sein.
Ich bin eine von ihnen. Gemeinsam mit zwei Freundinnen, meiner Mutter und einem mit meinen Eltern befreundeten Paar streben auch wir danach, die Hitze zu bewältigen und, mehr noch – eine Strecke zurückzulegen, die man nicht alle Tage marschiert. Im Gegensatz zu den ganz wilden TeilnehmerInnen möchten wir die halbe Distanz in Angriff nehmen.
Seit 2004 findet der etwas andere Bergmarathon statt; es gibt eine „kurze“ und eine lange Streckenführung, die eigens für diesen einen Tag markiert wird. Mit Ausnahme diesen Jahres wird jedes Mal wo anders gewandert wird. Waren es vor zwei Jahren die Gemeindegrenzen Maria Neustifts (und die Gemeinde liegt sehr hügelig, glauben Sie mir), egal über welche Abhänge diese führen, oder letztes Jahr eine Strecke von Obergrünburg und Garsten, ist das Ziel stets das Gasthaus Derfler. Wirt Leo Derfler zeichnet gleichzeitig auch als Organisator des Derfler X-treme verantwortlich. An einem seiner Wirtshaustische wurde auch vor nunmehr elf Jahren die Idee geboren, die Wegstrecke nachzugehen, die die Bauern der früheren Generationen angeblich oft an nur einem Tag hin und retour gehen mussten: Von Sulzbach aus seien sie frühmorgens zu den Almen am Hengstpass gewandert, um bei ihren dort weidenden Tieren Nachschau zu halten. Dass sie es schafften, rechtzeitig zur Stallarbeit am Abend wieder zuhause anzukommen, wollte niemand so recht glauben. Daher fiel kurzerhand der Entschluss, es selbst auszuprobieren.
2015 wurde jene ureigene Derfler-Xtreme-Route ein zweites Mal beschritten:
Hengstpass (Zickerreith) – Kreuzau – Dörflmoa Alm – Ahornsattel – Siebenbrünn – Blabergalm – Weißwasser – Hirschkogelsattel – Brunnbach – Großraming – Stangl-Kapelle – Durchlauf – Geierkogel – Derfler. Das wären 1570 Höhenmeter auf 56 Kilometern. Weil es aber dieses Jahr das Wetter gar so gut mit den Wandersleuten meinte, konnte anstelle des langwierigen, flachen Weges auf den Hirschkogelsattel auf die anspruchsvolle Hochschlacht ausgewichen werden, die ein paar Kilometer weniger, dafür einige Höhenmeter mehr bot: und zwar 2500 Höhenmeter auf läppischen 42 Kilometern. Gesagt, getan.
Das bemerkenswerte an diesem Ausflug der Sonderklasse ist, dass es um so viel, aber eigentlich um gar nichts geht. Wer da ist, ist da, wer mitgehen will, geht mit. Wer, von wo und mit wem, wie schnell und warum überhaupt – alles irrelevant. Man ist zwar angemeldet und bezahlt vorab, um sich den Busplatz zu sichern. Aber ob man diesen je einnimmt und wie schnell man ins Ziel kommt, ist jedem selbst überlassen. Nichts wird kontrolliert oder bewertet. Der einzige, der sich einem in den Weg stellen kann und dem man Rechenschaft ablegen muss, ist man selbst. Es ist eine sehr freie Art und Weise, an einem Bergmarathon, einer Form von Wettkampf, teilzunehmen.
Und so sitzen wir sechs, so unterschiedlichen Alters wie all die Teilnehmer und doch mit der gleichen, unbändigen Motivation sich selbst und die Strecke zu bezwingen, im Bus. Selbst jetzt kann man sich noch aussuchen, ob man beim Startpunkt der langen Distanz aussteigen oder zu demjenigen der kürzeren Etappe mitfahren will. Wir wagen einen totalen Freestyle und steigen zwar am Hengstpass aus, wollen aber nur bis Brunnbach marschieren, wo die kurze Tour beginnt. Die Wanderung durchs Hintergebirge reizt uns landschaftlich einfach mehr.
Angeblich sind es insgesamt rund 140 Teilnehmer. So genau erfährt man das als einer von ihnen nicht. Natürlich weiß das vordere Starterfeld sehr genau, wer als erstes im Ziel war. Für die meisten von uns ist die Tatsache, mitgemacht zu haben, Gewinn genug. Dabei ist es nicht wesentlich, ob man die kurze oder lange Distanz zurückgelegt hat. Extremkletterer Alexander Huber hat das diese Woche bei seinem Vortrag „Im Licht der Berge“ treffend dargelegt: Die Intensität hängt nicht von der Schwierigkeit ab, sondern allein vom persönlichen Erlebnishorizont. Während wir die schnelleren Starter vorbeilaufen sehen, kann ich deren Leistung neidlos anerkennen. Für mich reicht es aber, einen perfekten, etwas verrückten Tag mit meiner Mama und Freunden zu verbringen. Denn was gibt es Schöneres, als Wetter und Landschaft zu genießen, diese Leidenschaft zu teilen und seinen Körper so weit im Griff zu haben, das einfach tun zu können?
„Ich lehne es ab, anzuerkennen, dass es Unmöglichkeiten gibt.“
Henry Ford
Wer fürs kommende Jahr am Laufenden bleiben möchte, informiert sich am besten per Facebook unter „Derfler X-treme“ oder direkt auf der Homepage vom Gasthaus Derfler.
Und bloß nicht vom Namen Derfler X-treme abschrecken lassen! Der ist nicht nur auf Distanzen bezogen, sondern kann auch lediglich das Wetter meinen: Während wir 2014 bereits Anfang Mai bei Minimalwerten von 1°C sowie stundenlang anhaltendem Regen und Nebel marschierten (Beweisbild siehe unten), begleitete uns heuer Hitze und Sonnenschein pur. Man weiß nie, was man bekommt – also einfach ausprobieren!
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