goodblog: Pilgern - Stefan Oberfellner

Pilgern: Der Weg ist das Ziel

1. August 2016 , In: Alltag, Freizeit
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Gut ist: an Erscheinungen zu glauben

Ha! Jetzt denkt ihr wohl, die Carmen sei ein religiöser Pilger. Bin ich nicht. Ich war noch nie Pilgern, aber Weitwandern. Und ich kann niemandem etwas über Religion erzählen. Im Gegenteil; blöd reden, das kann ich ausgezeichnet. Manchmal trifft man mit unüberlegt dahergesagten Gedanken aber völlig ins Schwarze, ohne das eigentlich auch nur erahnen zu können. Oder kann man doch?

Montagswanderung mit Planänderung

Mit einer lieben Freundin bewahre ich mir seit Bildungskarenz-Zeiten die Tradition, die neue Woche auf einer Wanderung zu begrüßen. Wann immer es uns möglich ist, starten wir montags mit einem Berg in aller Früh durch. Unsere weitgehend freie Zeiteinteilung ermöglicht uns so, den Tag zu zelebrieren, an dem andere schon den Freitag ersehnen. Während wir üblicherweise unseren Hausberg, den Schoberstein, erklimmen und um etwa 11 in den regulären Arbeitsalltag einsteigen, bedarf diese Route leider manchmal einer kleinen Planänderung. So auch heute, denn die Wetterprognosen verhießen nichts allzu Gutes. Also wichen wir auf den Damberg, die uns nächstgelegene Erhöhung, aus.

goodblog: Pilgern - Stufen zum Glück

„Schau mal, da vorne ist schon jemand“, sagte meine Freundin kurz vor dem Ziel zu mir. Üblicherweise wandern wir so bald los, dass wir die ersten am Berg sind. „Ahja“, gab ich etwas überrascht zurück, „aber der ist wohl schon länger hier. Vermutlich mal runtergefallen und jetzt erscheint er uns.“ Von der Ferne sahen wir einen älteren Mann im hellen Morgenlicht direkt vor der Dambergwarte stehen. Sein weißes Haar wehte fedrig in der leichten Brise. „Bestimmt! Das ist wohl die noch ausständige Erscheinung von Medjugorje!“ lachte meine Freundin. Sie kehrte nämlich vor einigen Tagen von einem Roadtrip zurück, der sie in den bosnischen Wallfahrtsort führte. Von groß angepriesenen Marienerscheinungen war dort natürlich keine Spur, dafür wartete jede Menge kirchlicher Schnickschnack. (Man verzeihe meine Wortwahl, siehe erster Absatz.)

goodblog: Pilgern - Medjugorje

Stefan Oberfellner, eine echte Erscheinung

Als wir näher kommen, begrüßt uns der Herr schon mit freundlichen Rufen. „Guten Morgen! Ja, von wo kommt’s denn ihr schon?“ möchte er wissen. Wie sich herausstellt, ist seine eigene Herkunft allerdings von viel größerem Interesse. Stefan Oberfellner, 72 Jahre alt, nach langer Tätigkeit im Baugewerbe seit einigen Jahren pensioniert und wohnhaft im schönen Wallern im Burgenland, befindet sich nämlich auf Wanderschaft. Gestartet ist er am 7. Juni in Polen. Sein Weg führte ihn unter anderem über Linz nach Steyr, dann geht’s nach Mariazell und von dort natürlich zu Fuß nach Hause.

Stefan, der Wandersmann, erzählt uns von seinen Reisen. Seit 2007 marschiert er mehrere tausend Kilometer im Jahr. Nach der Pensionierung habe ihm seine Frau den Vorschlag des Weitwanderns gemacht, als er überlegte, womit er nun seine Zeit verbringen könne. Sportlich sei er immer gewesen, bis Mitte 30 habe Stefan aktiv Fußball gespielt, berichtet er. Aber das nun sei anders. Er erzählt uns von den Belastungen, die beim Pilgern auf die Füße kommen, und noch viel mehr davon, dass man sich Zeit nehmen solle. Bei der ersten Jakobsweg-Wanderung ist er ganze 10 Tage zu früh ans Ziel gekommen. Aber gehabt hat er nicht viel vom Weg, meint er. Mittlerweile teilt er sich die Zeit so ein, dass er Sehenswürdigkeiten ansehen kann. Oder wie gestern einen Tag auf der Terrasse eines alten Schulkameraden verbringen, den er nach gut 55 Jahren per Zufall wiedergesehen hat.

goodblog: Pilgern - Der Weg ist das Ziel

In der Dunkelheit starten um noch weiter zu kommen, wie das viele Pilger am Jakobsweg machen, das hat für ihn keinen Reiz. Er reist in seinem Tempo, sieht die Umgebung, notiert sich jeden Abend, was ihm am Tag widerfahren ist. Unmöglich, so eine Fülle sonst zu behalten. Manchmal ist er im stillen Zwiegespräch mit dem Herrgott, aber Über-Christ sei er keiner. Auch wenn er pilgert. „Wie nahe warst du Gott schon?“ habe ihn einmal ein Schulkind bei einem seiner Reisevorträge gefragt, erzählt Stefan. „Das kann ich dir nicht beantworten.“ Eine ganz persönliche Sache sei das, nichts, worüber man sprechen kann. Erleben, erfahren muss man das.Vielleicht beim Pilgern, oder auch ganz wo anders.

Wir unterhalten uns ziemlich lange, lassen uns seinen selbst gebastelten Holzstock mit Gewinde zum Zusammenschrauben zeigen und plaudern über seine Tochter, die Friseurin ist, was man an seiner Frisur nicht erkennen kann, wie er schmunzelnd bemerkt. Er ist sich dessen bewusst, wie wertvoll es ist, dass die Familie hinter einem steht; anders wäre so eine lange Wanderschaft nicht möglich. Und er schwärmt von den Begegnungen auf seinem Weg. Er freut sich über Leute wie uns, mit denen ein Gespräch entsteht. Ein sehr humorvolles, wohlgesagt. Menschen, die sich interessieren.

goodblog: Pilgern - kurzes Shooting mit Stefan Oberfellner

Wir wollten eigentlich auf den Schwarzberg weiterwandern. Für diesen Montag beließen wir es aber dabei uns vergnügten uns mit dieser eindrucksvollen Begegnung. Für Stefan Oberfellner sei das seine letzte ganz lange Reise, berichtet er. Sieben Mal bewanderte er bereits den Jakobsweg, verschiedenste Varianten. Wo er noch war? Medjugorje, natürlich. 

goodblog: Pilgern - Stefan Oberfellner

Buen Camino, Stefan!

Danke dafür, dass ich heute gelernt habe, was das bedeutet. Danke für diese ganz besondere Erscheinung und alles Gute noch für deinen Weg!

Wer sehen mag, wohin Stefan Oberfellner wandert, kann übrigens auf seiner Homepage ein paar Bilder gucken. Denn er pilgert nicht nur seit 2007, sondern kann seither auch einen Computer bedienen.

P.S.: Entdeckt ihr Stefan auf dem Bild mitten im Wald? :-)

    • Uli
    • 2. August 2016
    Antworten

    Solche Begegnungen sind toll – ich liebe so „andere“ Leute, ich habe immer das Gefühl, nach solchen Gesprächen bereichert zu sein.

    Ha, und Medjugorje ist seit Jahren bei uns ein running Gag, weil die Tante eines Freundes unbedingt mit uns allein dort hin wollte: Erscheinung schauen – immer Dienstag ab 12:00 Uhr 😀

      • Carmen
      • 24. August 2016
      Antworten

      Sodala, Urlaub vorbei, endlich Zeit zum Antworten :-) sorry, dass es so lange gedauert hat! Ich hab so lachen müssen, dass es bei euch auch einen Medjugorje-Schmäh gibt… ich bin mir nämlich gar nicht so sicher, ob das überhaupt vielen (ausgenommen: Pilgerszene, haha) was sagt :-D Und ja, ich steh sehr drauf. Menschen sind halt so unterschiedlich – und wenn man offen ist und plaudert und nachfragt erfährt man so vieles, das einem sonst verborgen geblieben wäre. Der Herr hätte einfach auch nur ein anderer Wanderer für uns sein können. So kennen wir einen Teil seiner Geschichte <3

  1. Antworten

    Liebe Carmen – danke danke danke für den Beitrag..
    Ich bin ja weder Wander- noch Pilger-Fan, aber diese Geschichte hat mich echt berührt, hab ich wahnsinnig gerne gelesen!
    Sagte die, die nach Santiago de Compostela mit dem VW Bus gereist ist :D

    Alles Liebe, Katii

      • Carmen
      • 29. August 2016
      Antworten

      Mei, bitte gerne! Ich hab halt so eine Freude gehabt, dass ich die auch im Artikel anscheinend ein wenig mittransportiert hab :-) Und hey: ein VW-Bus ist immer eine Reise wert, das kann ich mindestens genauso gut verstehen :-D

    • Kea
    • 29. August 2016
    Antworten

    Ach, was für eine schöne Begegnung :) Danke, dass du uns davon berichtest! Ich hab hier auch Pläne für einen Pilgerweg in der Nähe in meiner Schreibtischschublade liegen – sobald das Knie wieder heil ist, mach ich mich auf. Dein Artikel hat diesen Wunsch noch mal sehr bekräftigt :) Liebe Grüße! Kea

      • Carmen
      • 29. August 2016
      Antworten

      Bitte gerne, liebe Kea – danke fürs Lesen & deine lieben Worte! Ich kann Weitwandern an sich nur empfehlen. Eine richtige Pilgerin war ich bisher noch keine, aber fünf Tage am Alpe-Adria-Trail bin ich mal gewandert. Trotz Mega-Schuhblasen und damit einhergehendem verfrühtem Ende überwiegen aber die guten Erinnerungen um Welten ;-)
      Alles Gute deinem Knie, es soll dich bald wieder durch die Hügerl tragen!

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